2012
Flämische Dornröschen
Heute sind sie gekommen...
Seit mehr als zwei Jahren, die sie schläft in diesem limburgschen Hafens, hatte sie fast vergessen, wie die Sebago knistern auf den knarrenden Planken dieses Steges, wo ihre bemoosten Festmacher in müden Seufzern sich manchmal leicht anheben, wenn ein motorisierter Bug mit Diesel-Atem vorbei huscht...
Sie trägt noch tief in sich die beißende Erinnerung des Meereszorns, der sie mit gleichgültiger Bissigkeit in einer mondlosen Nacht an eine iberische Küste geworfen hatte. Diese Nacht, mit dem Mittelmeer in Rage, unter schwefelfarbigen Wolkenfetzen von Asche zersetzt, unter salzige Brecher erdrückt, die die Plicht in eine eisige Spa verwandelten, betäubt von Poseidons Stimme, der teuflische Arpeggios in die Wanten jagte...
Sie schläft seit zwei Jahren und lässt großzügig wachsen auf ihren runden Flanken, die sich einst in die atlantische Dünung geschmiegt hatten, ein Pandämonium dieser feuchten Flora, die die Kanäle von Nordeuropa bevölkert und sich genüsslich an die Beine zukünftiger Ertrunkenen krallt.
Wunderbares Inbild des Wortes "Krähennest"...
Diejenige, deren Herz seit mehr als zwei Jahre blutet, weil sie ansehen muss, wie ihre liebe und starke Gefährtin ganz allmählich über einem grünen Schlickgrund weiter verrottet.
Hinter ihr, ein Paar.
Sie, blond, mit diesen hellen Augen der nordischen Prinzessinnen, die die mondlosen Nächte des Nordens erhellen. Mit einen verzauberten Lächeln auf den Lippen, glücklich und gleichzeitig ein wenig erschreckt über dieses neue Abenteuer, in das sie sich wirft. Der Liebe wegen.
Er, braunes Haar, mit dunklen Augen, in denen eine fast vergessene Flamme lodert. Mit dem ruhigen Blick des Jägers, der die endlich erlegte Beute mit den Augen streichelt. Mit einem Funken tiefen Friedens beim Anblick dieses Waldes von Masten, die sich träge wiegen in der sanften Brise dieses Sommertags, in Delfter Blau erstrahlend, gespickt von sprudelndem weißen Wolken.
Sie sind die neuen Herren.
Trotz der grünen Flechte ihrer von Unwetter gepeinigten gelben Haut. Trotz des Mooses, das sich in die kleinste Rille ihrer grauen, wie hundertjährige Bäume, Hölzer breit macht.
Trotz diesen filigranen, trotzdem tödlichen Insektenfallen, die zwischen den Stutzen der Seereling, wie Erinnerungen an die eisige Blumen weben, die an den Fenster der Hochgebirgshütten blühen, wenn der ersten Reif Richtung Tal zieht.
Trotz fehlender Pinne, was ihre Plicht in eine Plastikwanne verwandelt und die Lust auf Seegischt, die Erinnerung auf das einstige leichte Zittern noch mehr erschwert, als ihr Bug das Wasser teilte und die Hand ihres Steuermannes auf diesem ehemalig lackierten Mahagonistückes lag, wie die Hand des Mannes auf der Seite einer atemlosen Geliebten.
Trotz der Unmenge an Mühe und Herzblut, die sie geben werden müssen, damit die schöne Schlafende eines Tages wieder dieses weißes Boot wird, deren Segel unter der Sonne strahlen, deren Bug von schaumigen Schnauzern umrandet wird, deren Rumpf, diesen tiefen Gesang summt, das ein Boot immer durchdringt, wenn es auf seiner Hüfte liegend und mit einer leichten, aber zielsicheren Hand geführt, seinen Kapitän hinter den Horizont bringt, um das, was sich dort verbirgt, zu entdecken...
Sie lieben sie schon, weil sie sehen, was andere schon vergessen haben und nur darauf wartet wieder zum Leben, zum Meer erweckt zu werden.
Sie lieben sie schon, weil sie sie dafür lieben wird , dass sie wieder schwingen wird, dass sie mit ihr alle diese Schätze, die das Leben, die Geduld, die Neugier und das Unbekannte bringen, all das was die Würze des Segelreisens ausmacht, entdecken werden.
Sie wird sie lieben, dass sie wieder mit ihnen lossegeln möchte um durch die Sommernächte eine phosphoreszierende Spur unter dem Mond und seinen dunklen von Milliarden Sternen gespickten Samt zu ziehen.
Sie liebt sie schon, weil sie weißt, dass sie sie wollen.
Seit mehr als zwei Jahren, die sie schläft in diesem limburgschen Hafens, ist es ihre erste schlaflose Nacht. Nicht wegen der Fröschen, die ganz laut am Ufer des Kanals plauschen. Nicht wegen der Enten, treue Begleiter dieser letzten Jahren, die sich unter ihrem hochgezogenen Heck zusammenpressen.
Sie kann nicht schlafen, weil das dunkle Zittern des Wassers entlang ihres Ruders zukünftige Reisen durchs Wasser verspricht.
Weil sie in zwei Tagen wiederkommen werden, um richtig von ihr Besitz zu ergreifen. Und sie von ihnen.
Sie hat genug geschlafen. Ein neues Leben fängt an.
Mit einem Wisch...
Sie sind heute wiedergekommen.
Diesmal, zu dritt. Mein neuer Skipper, sein Erster Maat und der Schiffsjunge.
Mit einem riesengroßen weißen und (fast!) leeren Transporter!
Fast leer, weil das erste, was mein neuer Skipper getan hat, war eine neue Schiebeluke zu installieren. In Teakholz, nigelnagelneu ! Und, ein, zwei, drei, hex, hex - mein Niedergang sieht endlich wieder wie am ersten Tag aus... wie vor langer langer Zeit!
Ich war so stolz auf meinen Skipper!
Mein Freude wurde leicht betrübt, als der Schiffsjunge, mit der Unschuld seiner Gattung (er weiß noch nicht, daß ich, als alte Magierin, alle menschlichen Sprachen verstehe!) dem Ersten Maat erzählt hat, daß es Elke war, meine ehemalige Herrin, die diese neue Schiebeluke schon in Auftrag gegeben hatte. Die alte, wirklich sehr alt geworden, war gar nicht so wasserfest wie sie sein sollte.
Na ja, kein Mensch ist perfekt!
Sobald meine neue "Eingangstür" montiert war (trotz meines hohen Alters, ein schönes zusammengezimmertes Holzteil steht mir wirklich besser!), hat mein neuer Skipper sich an meinem "Teint" herangewagt, "nur um zu sehen" wie er immer sagt.
Dank seiner Erfahrung, hat er einen alten Rest von einer Flasche "Cif ammoniacal" (er kennt es aus seiner Kindheit in Frankreich!), einen alten Schwamm, ein bißchen Wasser von der Pütz und viel "Ellenbogen-Öl" - wie man bei den Franzosen sagt - eingesetzt!
Das hat wirklich kaum gekratzt. Das war sogar sehr angenehm, dieses sanftes Striegeln. Weil... wenn es sein muß, hat mein neuer Skipper sehr sanfte Hände... Fragen Sie den Admiral!
Kaum eine Minute später war das Ergebnis "blendend":
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Dann haben sie alles weggeschafft!
Beginnend mit der Vorpiek, die gleichzeitig als Ankerkasten (für die Ankerkette) und als Gasflaschenfach dient,dann aus der vorderen Kajüte, dem « Badezimmer mit WC », dem Schrank...
Danach kamen die Kombüse, die Backskisten unter den Sitzen im Salon und alle kleinen Fächer unter den Bodenbrettern, die Navi-Ecke, die Hundekoje und der Niedergang dran.
Das Ende war mit der Backbord-Backskiste in der Plicht und dem Achterpiek, deren Zwischenschot zum Motorraum wirklich am Ende ist (noch ein Punkt mehr auf die To-do-Liste, die schon ziemlich lang ist!).
Mit allem, was im Müllcontainer direkt gelandet ist und all dem, was in dem Kastenwagen gestapelt wurde, hätte Jacques Prévert seine helle Freude gehabt, um eine neue Version seines Inventar zu dichten!
Dabei waren es Dinge, die ich total vergessen hatte, wie diese drei kleinen Matchbox-Autos ohne Räder, oder diese vier dreimal zusammengefalteten Kaffeefilter, die tief hinten, im zweitem Schapp der Kabine 1, eines dunklen Dasein fristeten und wieder zur Tage befördert wurden...
Letztendlich, haben sie alle Schiebetüren der Kombüse, alle Backskistendeckel unter den Sitzen im Salon, unter der doppelte Koje der vorderen Kajüte und unter der Hundekoje entfernt...
Was für einen beeindruckenden Stauraum mein 9 m langer Rumpf doch bieten kann!
Sie haben dann aus dem weißem, mit allem, was sie doch von mir behalten wollten, vollbepackten Kastenwagen einen riesen gelben Baustellensauger herausgeholt, der von einem Nachbar geliehen war.
Mit Hilfe seinen riesenlange "Rüssel" und einem furchtbarem Krach, haben sie gnadenlos Staub, Sand, Steinchen, Spinnengewebe und -Nester aufgesaugt (scheinbar ist Stevensweert die größte Spinnentiere-Produktionsstätte des nördlichem Halbkugel!), bis in die kleinste Ritze meine Wegerung. Alles ist in seinem großen runden Bauch gelandet.
Jetzt schäme ich mich nicht mehr, wenn Besuch am Bord kommt!
Da er nett ist, hat mein Skipper entschieden, daß seine Crew eine Belohnung verdient hat.
« Los, wir fahren den Nest spazieren! » sagt er voller Innbrunst den verduzten Ersten Maat und Schiffsjunge.
Es stimmt, das Krähennest thront immer noch ganz oben, auf meinem stolzen Alumast.
Gesagt, getan.
Da ich nicht ganz modern bin, ist die Startprozedur meines Nanni aus der guten alten Zeit, wo Technik noch Handarbeit war. Mein Nanni braucht keine Handkurbel, aber fast. Mein Nanni braucht keine Handkurbel, aber fast.
Während Nanni sich wärmt, der Skipper erklärt was zu tun ist, gibt jeden seine Mission und seinen Platz und die Crew löst endlich die Leine.
Gleichzeitig kuppelt der Skipper den Rückwärtsgang ein und, mit Pinne nach Backbord (er kennt schon meine Schokoladenseite), läßt den Motor kurz aber kräftig heulen um aus der Box zu kommen.
Das Nest geht spazieren...
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Sauna
Vom Vorpiek bis zum Ende der Hundekoje, alle Wegerungen und alle mehr oder weniger gut errreichbaren Flächen meines Innenlebens wurden gnadenlos « verdampft ».
Selbst wenn es mir manchmal ziemlich heiß wurde, dieser Saunagang hat wirklich gut getan!
Und ich habe schon lange vor Ende aufgehört zu zählen, wieviel von diesen pechschwarz gewordenen « Waschsocken » sie am Ende des Tages zum Auto weggekarrt haben.
Ein Mast, der diesen Namen trägt...
Danach hat mein Skipper die Besteigung des Mastes in Angriff genommen damit mein Mast endlich seine stolze Höhe ohne Parasiten wieder erlangen kann. Da er aber unter starkem Höhenangst leidet, war es für ihn ein kleiner Everest. Wie war das schon mal diese Sache mit „Leiden schafft“?
Aber, mit mutigem Herzen wie alle Kapitäne, hat er dem Admiral nichts von seiner Höhenangst verraten und nach langen elendigen und schweißtreibenden Minuten, hat er mich (und sich auch !) von dieser „Entweihung“ befreit!
Seitdem bin ich wieder ein echtes Segelboot.
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